Der SIBYLLE-RIED-PREIS 2023 wurde verliehen an
Heike Hantel, Hamburg
für zahlreiche Aktivitäten für Menschen mit Epilepsie inkl. der Epilepsie-Online-Konferenzen in Zeiten von COVID19.
Vor inzwischen schon 23 Jahren ist Sibylle Ried am 14. Juni 2000 im 44. Lebensjahr in Innsbruck an einer Lungenembolie verstorben. Es gibt weltweit nur sehr wenige Ärzte, die sich so für die Interessen nicht nur ihrer eigenen Patienten, sondern aller Menschen mit Epilepsie eingesetzt haben. Von ihrem entsprechenden Engagement zeugen nicht zuletzt auch ihre vielfältigen entsprechenden Publikationen inklusive dem inzwischen in vierter, überarbeiteter Auflage vorliegenden Modularen Schulungsprogramm Epilepsie für Patienten MOSES, dessen Evaluation 2001 mit dem ersten Sibylle-Ried-Preis ausgezeichnet wurde.
Der schon lange Zeit an die Stiftung Michael angebundene und mit 2.500 Euro dotierte Preis ist für alle Berufsgruppen und Formen von Publikationen, dokumentierte Aktivitäten und Methoden mit dem Ziel einer Verbesserung der Betreuung von Menschen mit Epilepsie und ihrer Lebensbedingungen gedacht. Jetzt wird er bereits zum zwölften Mal traditionell anlässlich der gemeinsamen Jahrestagungen der Deutschen und Österreichischen Gesellschaften für Epileptologie und Schweizerischen Epilepsie-Liga vergeben. Das Preisgeld wird üblicherweise durch Zinserträge der Sibylle-Ried-Zustiftung bei der Stiftung Michael generiert, was in den letzten Jahren aufgrund des für alle Stiftungen sehr problematischen niedrigen Zinsniveaus einer Ergänzung bedurfte. Die bisherigen Preisträger und Projekte sind auf der Seite der STIFTUNG MICHAEL aufgelistet
Die Wahl von Frau Hantel (Abb.) als Empfängerin des Sibylle Ried Preises 2023 für ihre zahlreichen Aktivitäten für Menschen mit Epilepsie inkl. der von ihr regelmäßig koordinierten Epilepsie-Online-Konferenzen in Zeiten von COVID19 war bei zahlreichen guten Bewerbungen eine einstimmige Entscheidung der Jury (= Autoren dieser Laudatio).
1965 geboren und aufgewachsen in Wunstorf bei Hannover lebt Frau Hantel seit über 30 Jahren in ihrer Wahlheimat Hamburg. Sie hat eine erwachsene Tochter und ist stolze Oma einer dreijährigen Enkeltochter. 1974 wurde bei ihr eine Epilepsie diagnostiziert, die ersten „Grand mal“-Anfälle veränderten ihr Leben und das ihrer Familie ganz gravierend. Damals steckte die Epilepsieversorgung noch in den Kinderschuhen, es gab keine Selbsthilfeverbände und Selbsthilfegruppen für Menschen mit Epilepsie und ihre Angehörigen und – heute kaum vorstellbar – auch noch kein Internet für Recherchen und Informationen. Ende der 1980er Jahr fand sie bei einer stationären Betreuung im Epilepsiezentrum Kehl-Kork mehr Informationen sowie Zugang zur Selbsthilfe über die Zeitschrift „einfälle“ und entschied sich, selbst mehr gegen das Informationsdefizit bezüglich Epilepsie in der Öffentlichkeit zu tun.
Auf den Abschluss ihrer Ausbildung in sozialer Arbeit zur Heilerzieherin folgte eine berufliche Tätigkeit in einem Wohnheim für behinderten Menschen in Stuttgart, wo sie in Kooperation mit Dieter Dennig Fortbildungen der Mitarbeitenden zum Thema Epilepsie koordinierte. Weitere berufliche Stationen waren sozialpsychiatrische Tätigkeiten in Hamburg in einer Beratungsstelle für obdachlose und psychisch kranke Männer und Frauen, in der Gesundheitsförderung im Bezirksamt Hamburg, wo die Organisation von Veranstaltungen zu verschiedenen Gesundheitsthemen inkl. Epilepsie und der Entwicklung von Informationsmaterialien zu ihren Aufgaben zählte. Schließlich war sie von 2000 bis 2020 Teamleiterin des Sozialdienstes am Epilepsiezentrum Hamburg mit epilepsiespezifischer Beratung, Psychoedukation und Öffentlichkeitsarbeit.
Ehrenamtliche Aktivitäten in der Epilepsie-Selbsthilfe ziehen sich durch ihr ganzes Leben. Ab 1989 war sie in verschiedenen Selbsthilfegruppen in Stuttgart und Hannover aktiv, dann als Mitglied in der Deutschen Epilepsievereinigung (DE), wo sie ab 1993 Vorstandsmitglied war, bis 2010 zweite Vorsitzende und seither DE-Landesbeauftragte in Hamburg ist (inzwischen Ehrenmitglied). Als Mitglied des Arbeitskreises „Tag der Epilepsie“ (TdE) organisierte sie den ersten TdE 1996 in Heidelberg mit und war in der Folge an der Organisation der Tage für Hamburg mitbeteiligt.
Nicht zuletzt war Heike Hantel eine der ersten MOSES-Trainerinnen, sie schloss den Grundkurs 1998 ab und führte nicht nur bis 2018 selbst MOSES-Schulungen durch, sondern beteiligte sich als Supervisorin auch an der Qualifizierung neuer Trainerinnen und Trainer. Sie ist auch langjähriges Mitglied im Verein Sozialarbeit bei Epilepsie mit Teilnahme und arbeitet auf den regelmäßig stattfindenden Fachtagungen mit.
Öffentlichkeitsarbeit, Information und Schulung von und für Menschen mit einer Epilepsie, beruflich und ehrenamtlich als Berufung, verbunden mit immer neuen Ideen, Aktivitäten und der Entwicklung von neuen Methoden und Herangehensweisen, könnte die Überschrift für all die bisher genannten Aktivitäten von Heike Hantel sein. Dies alles wäre schon mehr als genug für eine Auszeichnung mit dem Sibylle-Ried-Preis. Er wird ihr aber auch und insbesondere für ihre seit 2020 bestehende Online-Epilepsie-Akademie mit inzwischen drei Epilepsie-Online-Konferenzen im deutschsprachigen Raum verliehen.
Auf diese Idee kam sie, nachdem sie Im September 2019 im Internet zum Thema Autoimmunkrankheiten googelte und zufällig auf einen 10-tägigen Online-Kongress zu diesem Thema stieß. Sie recherchierte weiter und fand Entsprechendes auch für Krebs, MS und andere Gesundheitsthemen. Die Idee, selbst eine Epilepsie-Onlinekonferenz zu entwickeln und durchzuführen ließ sie nicht mehr los. Ab Oktober 2019 wurden Themenblöcke festgelegt und ab Dezember Expertinnen und Experten gewonnen. Die erste Online-Epilepsiekonferenz startete im Juni 2020, kam in der Coronakrise zum „richtigen Zeitpunkt“ und war für viele Betroffene und Angehörige ein Segen. Das Feedback war sehr positiv und motivierte sie zu Folgeveranstaltungen. Für die zweite und dritte Konferenz konnte sie erfreulicherweise Sponsoren gewinnen.
In Zeiten, als pandemiebedingt viele persönliche Kontakte und Gruppenaktivitäten zurückgefahren werden mussten, hat Frau Hantel mit den Epilepsie-Online-Konferenzen mit enormem persönlichem Engagement ein neues, modernes Informationsangebot auf den Weg gebracht und etabliert. Dazu hat sie verschiedene Expertinnen und Experten persönlich angesprochen, mit durchdachten Fragen interviewt, die Gespräche filmisch aufbereitet und sie schließlich online verfügbar gemacht. Daraus ist ein innovatives und jederzeit abrufbares Format geworden, welches sehr niedrigschwellig zugänglich ist. Gerade in Pandemiezeiten war es vielen Menschen eine große Hilfe und die nächste Konferenz ist bereits in Vorbereitung. Darüber hinaus hat sie zwei weitere Projekte in der Planung: neben einem Epilepsie-Podcast „Alles steht wirklich Kopf?“ ein 12-wöchiges Epilepsie- Begleitprogramm Online in der Gruppe.
Auch im Namen von Herren Dr. Matthias Ried als Vertreter der Familie Ried und beratendes Mitglied sowie Professor Ulrich Stephani als Vorstand und Vertreter des Stiftungsrates der Stiftung Michael gratulieren wir herzlich zur Auszeichnung mit dem Sibylle-Ried-Preis 2023. Wir sind uns absolut sicher, dass Frau Hantel noch viel Gutes für Menschen mit Epilepsie leisten wird.
Autoren dieser Laudatio:
Günter Krämer1, Ingrid Coban2 und Gerd Heinen3
STIFTUNG MICHAEL
Alsstraße 12
53227 Bonn
Deutschland
Tel.: +49 (0)228 - 94 55 45 40
Fax: +49 (0)228 - 94 55 45 42
E-Mail: poststiftung-michael.de